Stiller: MESSEN UND MÄRCHEN
„Man schneidet nicht, um zu zerstören. Man schneidet, um zu verstehen.“

Interferenzräume: Fleischblicke im Zeitalter des Hyperrealen
„Ich sehe, also bin ich nicht allein.“
(aus dem internen Zwillingsprotokoll, Windbergen 1993)
Was bedeutet es, Fleisch zu zeigen — im Museum, im Bild, im Netz?
Und was bedeutet es, Fleisch zu sehen?
Die Ausstellung Stiller. Fleisch, Macht, Sprache bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen Zeigen und Beobachten, zwischen Intimität und Display. Die Installation der Stillerschen Vitrinen evoziert nicht nur Erinnerungen an provinziellen Konsum und familiären Schrecken, sondern lässt sich auch als frühe, nahezu prophetische Reflexion auf die performative Macht des Blicks lesen.
In einer Zeit, in der das Private längst öffentlich geworden ist — Instagram-Stories, TikTok-Tränen, Beichtformate auf YouTube — erscheint die enge, ritualisierte Welt der Schwestern Stiller zugleich isoliert und visionär. Ihre Sprache (Stillerspraak) kennt keine Zuschauer. Ihre Schnitte wurden nie gefilmt. Ihre Märchen sind nicht dokumentiert, nur erinnert. Und doch: Wir sehen. Wir lesen. Wir stehen davor.
Wer ist hier der Voyeur?
Ist es überhaupt noch möglich, eine Grenze zu ziehen zwischen Echtheit und Inszenierung? Zwischen Fleisch und Bild? Zwischen Dokument und Fantasie?
Die Ausstellung spielt bewusst mit diesen Irritationen. Die Objekte sind real, aber nicht wahr. Die Geschichten sind erfunden, aber nicht gelogen. Das Schweigen ist performativ. Die Stille ist gerahmt.
Und wir? Wir schauen. Vielleicht, um etwas zu fühlen, das nicht uns gehört. Vielleicht, um zu vergessen, dass wir längst Teil der Inszenierung sind.
