
Ulrike von Hollen
Ulrike von Hollen
Pfarrfrau & Gärtnerin
Ulrike lebt mit ihrem Mann, Pastor Hans von Hollen, in der alten Pastorei von Windbergen. Sie ist bekannt für ihre ruhige Erscheinung, ihre sorgfältige Art zu sprechen und für die Blumen, die sie auf dem Vorplatz pflanzt. Wer sie trifft, erlebt Höflichkeit, Distanz, und manchmal – für einen Moment – etwas anderes.
Sie war nie laut, nie gesellig, nie schwach. Es heißt, sie hört mehr, als man sagt. Und dass sie Dinge weiß, die man selbst erst später begreift.
Über Ulrike gibt es im Ort viele Meinungen. Und viele davon beginnen mit einem kurzen Zögern.
„Manche Türen öffnen sich nicht mit Schlüsseln. Sondern mit Geduld."
„Und die, die im Schatten wachte, wurde nicht gerufen. Aber als das Licht fiel, stand sie bereits."
Pastorat Windbergen
Morgenlicht fällt durch die hohen Fenster. In der Stille hört man das leise Ticken einer Uhr, das Knarzen alten Holzes – und irgendwo im Garten: ein einzelner Vogel, der nicht ruft, sondern erinnert.

Ein Amtswohnhaus, weiß verputzt, mit dunklen Fensterrahmen. Es steht ruhig da – zu ruhig vielleicht. Die Tür steht manchmal offen, auch wenn niemand kommt. Wer das Haus betritt, merkt bald: Etwas ist hier anders. Nicht laut. Aber anders.
Die Stille ist nicht leer. Sie hat Form – wie ein Muster, das unter dem Teppich beginnt.

Eingangshalle
Der Mantel an der Garderobe scheint nie bewegt worden zu sein. Doch er ändert manchmal seine Falten.

Treppenhaus
Hans kennt das Muster auswendig. Er zählt es nicht, er geht es – Schritt für Schritt, wie ein stilles Gebet.

Küche
Das Fenster steht offen. Draußen: ein Garten, der sogar im Februar etwas sagen will.

Die Gartenbank
Hier sitzt sie manchmal. Niemand sieht sie – aber die Spur bleibt.

Hans’ Arbeitszimmer
Er schaut aus dem Fenster, aber nicht auf den Garten. Er sieht – wie durch sich selbst hindurch.

Wohnzimmer
Zwei Schuhe stehen ordentlich in der Ecke. Ulrikes. Hochhackig. Nur für Besuch.

Badezimmer
Niemand hat hier jemals etwas gesucht. Aber man hat trotzdem immer das Gefühl, etwas vergessen zu haben.

Hans’ Schlafzimmer
Hier schläft er. Nicht weil es sein Wille ist, sondern weil es Ordnung ist.

Ulrikes Schlafzimmer
Das Licht in diesem Raum verändert sich kaum. Doch wenn es das tut, sieht niemand hin.
Sonntag — Akt I: Die Messe kann beginnen
08:31 Uhr – Frühstück in der Pastorie

Vergrößern
BH
Ein schlichter, hellgrauer BH – funktional, ruhig, für eine Frau von 41. Nichts Auffälliges. Aber sorgfältig gewählt.

Aus der heimlichen Liturgie der Pastorie
Er trägt den Tee mit beiden Händen.
Die Kanne dampft wie eine Kehle, die gleich spricht.
Sie sitzt bereits.
Die Hände im Schoß, das Kleid geschlossen, das Antlitz mild.
„Hans", sagt sie, leise.
Er dreht sich um.
Sie öffnet die Beine.
Nicht einladend. Nicht herausfordernd.
Nur offen.
Haut.
Stille.
Dann wieder geschlossen.
Sie lächelt wie jemand,
die den Psalm schon kennt,
aber ihn dennoch hören will.
Er stellt den Tee ab.
Tropft.
Schweigt.
Die Messe kann beginnen.
Rosen im Regen

„Wer denkt, dies sei ein Garten,
hat den Hof noch nicht betreten"
I. Vor dem Hof – Der Garten, die Arbeit, der Übergang
Niemand weiß genau, wann sie mit dem Pflanzen begann.
Vielleicht war es nach einem besonders stillen Winter.
Vielleicht auch schon viel früher, in kleinen Gesten,
zwischen Gewohnheit und Ahnung.
Was heute wächst, ist kein Garten.
Es ist ein Hof.
Mit Wegen, die sich winden wie Gedanken,
und Rosen mit Namen, die flüstern wie alte Briefe:
Eglantyne, Hermione, Queen of Sweden.
Sie kniet.
Zwischen Blättern, zwischen Dornen.
Die Erde haftet an ihren Händen,
und wenn sie eine Blüte dreht,
blickt sie nicht hinein — sie fällt.

Queen of Sweden
"Sanftheit ohne Schwäche – die Blüte, die schweigt und dennoch alles sieht."

Gentle Hermione
"Zitronen und Erinnerung – ein Duft wie ein Brief, der nie abgeschickt wurde."

Scepters Isle
"Mirre und Dämmerung – eine Rose, die nicht weiß, ob sie blühen sollte."
II. Im Hof – Die Spiegelzeit
Die Rose war fast verblüht.
Ein Hauch von Verfall, ein Duft von Nähe.
Sie hob die Blüte an, löste ein Blatt,
sah tiefer — und wurde gezogen.
Kein Riss, kein Sprung.
Nur ein sanftes Kippen.
Ein Gleiten durch das Zentrum der Blume,
als würde ihr Blick sich lösen
und in etwas Größeres fallen.
Der Hof empfing sie wie immer:
wortlos, gegenwärtig, atmend.
Sie stand auf einem Pfad, gepflastert mit Blütenblattfarben.
Die Luft roch nach Nebel, nach Erinnerung.
Etwas bewegte sich am Rand,
nicht Tier, nicht Mensch — nur Wissen.
Sie ging, barfuß,
und die Welt schwieg aus Respekt.
Ein Tropfen fiel — nicht auf sie, sondern in sie.
Ein letzter Blick auf den Spiegel:
Er zeigte kein Bild.
Nur Licht.
"Ein Gleiten durch das Zentrum der Blume..."
III. Nach dem Hof – Die Rückkehr
Die Regentropfen waren geblieben.
Feiner jetzt, wie Atem auf Haut.
Die Erde unter ihr war weich, fast lebendig.
Die Rosen still, aber schwer.
Ihr Kleid klebte an Rücken und Oberschenkeln —
nicht kalt,
sondern spürend.
Sie hob sich langsam.
Der Stoff zog an ihr wie eine Frage,
deren Antwort längst im Körper gespeichert war.
Ein Geruch stieg auf:
nasse Erde, altes Holz,
ein Hauch von Kindheit,
als Berührungen noch Zauber waren
und niemand das Wort Verlangen kannte.
Sie fuhr sich durchs Haar —
schwer, feucht, fremd und vertraut.
Am Schlüsselbein: Wärme.
Nicht von außen, sondern aus ihr selbst.
Sie sah das Haus.
Den Weg.
Den Himmel.
Und wusste:
Sie war zurück.
Aber nicht dieselbe.
Der Regen hörte nicht auf.
Aber er war nicht mehr nass.
Er war: Glanz.
Sonntag — Akt II
Die Kirche von Windbergen
„Ein Ort, der still gehorcht –
doch nicht mehr dem Himmel allein."
Die sichtbare Kirche
Ein Bau aus Ziegeln.
Ein Grundriss wie ein Argument.
Ein Raum, der nicht überzeugen will – sondern verweilen lässt.
Hallmanns Vision ist nur noch in Spuren sichtbar:
Die Fensterachsen, das Licht, der Rhythmus des Bodens.
Und doch: etwas blieb.
„Wir bauen nicht für den Himmel. Aber vielleicht für den Moment davor."

Wilhelm Hallmann (1916–1991)
„Ich glaube nicht an das Himmlische. Aber an das Geformte, das dorthin weist.“
(Notiz, 1953)

Pfarrer Dr. Clemens Wüst (geb. 1914 – verm. 1979)
„Vielleicht muss man eine Kirche bauen, bevor man sie versteht.“
(Brief an Hallmann, 1955)
Hier beginnt alles gleich.
Und doch: Zwischen den Bänken, unter dem Mosaik, ruhen die ersten Abweichungen.

„Ein Kuppelgewölbe hier? Schwer. Aber möglich – wenn man Beton denkt wie andere Leute Orgelmusik."
„Ein Entwurf ist eine Frage. Wenn etwas hindurchgeht, dann nur, weil es schon vorher da war."
„Wäre es ein Planetarium gewesen, hätten sie mir alles genehmigt. Aber für einen Gott braucht man immer Begründung."
Der Entwurf – Hallmanns Vision
Ein Traum in Linien, fast durchsichtig.
Der Bau, wie er nie war — und doch überall anwesend.
„Manches geht durch das Sieb –
aber es bleibt nicht leer.“
(Hallmann, in einem Brief an Clemens Wüst, 1956)
Der Architekt Hallmann entwarf mehr als eine Kirche.
Er sah einen Ort, der sich nicht aufdrängte – aber erinnerte.
Die Koepel war nur ein Rest dieses Traums, ein Überbleibsel seines Versuchs, Licht nicht zu bannen, sondern zu leiten.
Er wusste, dass Vorschriften gebaut wurden, um Wünsche zu verformen.
Aber zwischen Achsen und Vorgaben skizzierte er ein Echo –
einen Entwurf, der bis heute durchscheint, wenn man langsam genug schaut.
Briefwechsel – Hallmann & Wüst

Mosaik unter der Kanzel
Ein asymmetrisches Muster aus grünen und blauen Steinen – nicht geplant, aber geduldet.
Dieses Muster gab es in keiner Bauvorschrift.
Ulrike als Kind
„Der Stein roch nach Donner. Und die Fenster sangen.”
Hochzeit & Bruch
Ein Lächeln zu viel

Willst du diesen Mann lieben und ehren alle Tage deines Lebens?
Etwas in ihr blieb stumm. Nicht aus Zweifel – sondern aus Wissen.
Zwei Türen aus Holz, innen verkleidet mit Glas. Wenn sie sich öffnet, sieht sie sich dreifach. Und jedes Bild fragt sie: „Wer bist du heute, Majestät?" Sie antwortet nie. Sie sieht. Und beginnt, sich zu bewegen.
Dreimal dieselbe Geste. Dreimal anders.
Nicht der Spiegel lügt – nur die, die hoffen, darin sich selbst zu erkennen.
Ulrike – Hochzeitsdinner, Dritter Gang
Der Löffel biegt sich leise. Hans rührt. Er merkt nichts. Ulrike schon. Die Stimmen, das Klirren, das Lachen — als kämen sie von hinten, aus einem anderen Raum. Dann: Eine junge Frau, eine Hand auf Hans' Schulter, ein Moment zu lang. Ulrike sieht es. Nicht aus Eifersucht. Sondern weil etwas in ihr absinkt. Nicht bricht — aber sich löst. Später, in der Stille: Der Geruch ihres Kleides, als sie es auszieht. Mehl. Tränen. Ein Name, den sie bereits vergisst.
„Die dritte Bank van links"
„Er predigt. Aber sie ist das Gebet."
„Sie kniet nicht. Sie thront."
Die Gemeinde betet. Worte steigen auf wie Rauch — schwer, geordnet, gewollt. Ulrike sitzt still. Ihr Kleid faltenlos. Ihr Blick gesenkt. Die Lippen kaum bewegt. Doch zwischen den Lidern: Licht. Ein Schimmer, der ihn findet. Sie sieht ihn nicht. Doch sie weiß. Ihr Mund zuckt. Ein Lächeln. Nichts Heiteres — nur ein leises „Ja, ich weiß, dass du weißt". Dann: eine Bewegung. Langsam. Sie rückt auf der Bank, das Becken dreht sich kaum merklich, und ihre Hüfte lehnt sich gegen das kühle Holz. Nicht aus Unruhe. Nicht aus Schmerz. Sondern um ihm zu zeigen: „Auch ich bete. Aber anders." Und er? Spricht weiter. Seine Stimme trägt. Seine Hände zittern nicht. Nur das Holz unter seinem Rücken ist plötzlich warm.
Sie sitzt auf der dritten Bank van links. Immer. Niemand beachtet sie, sie ist Teil des Rituals. Aber unter dem Rock: nichts. Kein Stoff. Kein Schutz. Nur Haut, und das Wissen, dass sie es weiß. Die Bank ist hart. Das Holz kühl. Und jeder Ton der Orgel trifft sie tiefer als das Wort. Wenn ihr Mann predigt, spricht er nicht mit ihr. Er spricht für sie, ohne es zu wissen. Und sie? Sie hört nicht. Sie fühlt. Jede Bewegung, jede Vibration, ein Echo des Hofes, dort, wo kein Kleid mehr trennt.